von Michael Hrenka

Sollten wir alle vollkommen frei über unseren Körper verfügen dürfen?
Prothesen, Implantate & die Morphologische Freiheit
Was bedeuten Prothesen und Implantate im Kontext heutiger Technologien? Was bedeutet die morphologische Freiheit in diesem Kontext?
Das Konzept der morphologischen Freiheit wurde in den 90ern vom transhumanistischen Philosophen Max More (geboren 1964) geprägt, und meint die Freiheit, den eigenen Körper durch Technologie nach Belieben verändern zu dürfen. Seine Begründung erfährt das Prinzip der morphologischen Freiheit im Recht auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung. Als unumstrittener Eigentümer seines Körpers soll jeder Mensch, so weit wie vernünftig und praktisch möglich, über eben diesen verfügen, und ihn nach seinen eigenen Vorstellungen verändern dürfen.
Wo hat morphologische Freiheit ihre Grenzen? Sieht man morphologische Freiheit als Freiheitsrecht an, so ist dieses vernünftigerweise dort begrenzt, wo die Freiheit anderer unangemessen eingeschränkt wird. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine Körpermodifikation für andere gefährlich werden kann. Der Staat hat in solchen Fällen das Recht regulierend einzugreifen, wie dies auch in anderen Situationen der Fall ist: Kraftfahrzeuge und Waffen dürfen beispielsweise nur nach Erwerb einer angemessenen Lizenz geführt werden.
Zunächst einmal tritt die morphologische Freiheit als negative Freiheit in Erscheinung, welche es dem Staat untersagt, unangemessene oder willkürliche Verbote oder Gebote bezüglich der Veränderung des eigenen Körpers zu setzen. Andererseits stellt sich auch natürlicherweise die Frage, ob morphologische Freiheit positiv zu verstehen ist, als Anrecht auf gewisse erwünschte Körpermodifikationen. Ein solches Anrecht scheint jedoch im Widerspruch zu stehen mit der allgemeinen Leitlinie, dass nur medizinisch notwendige Eingriffe durch die Allgemeinheit zu tragen sind. Optionale Körpermodifikationen scheinen das Kriterium der medizinischen Notwendigkeit nicht zu erfüllen. Kann dieser Widerspruch überwunden werden?
Eine auf Freiheitlichkeit ausgerichtete Medizin und Solidargemeinschaft könnte tatsächlich die Lösung sein. Sofern man die Erhöhung menschlicher Freiheit als Maxime der Medizin auffasst, ergibt eine positive Interpretation morphologischer Freiheit durchaus Sinn. In diesem Kontext sehen wir Freiheit als prinzipiell quantifizierbare Größe, welche durch die Anzahl der Handlungsmöglichkeiten eines Individuums definiert ist. Krankheiten und Behinderungen schränken die Möglichkeiten eines Individuums zumindest teilweise ein. Daher ist es offensichtlich eine gute Idee, zu versuchen Krankheiten und Behinderungen zu heilen, oder zumindest abzumildern.
Andererseits sind die Möglichkeiten, die Menschen offen stehen, prinzipiell durch die Eigenheiten unserer Physiologie eingeschränkt. Die Grenzen unsrer körperlichen und geistigen Möglichkeiten, sowie unserer Wahrnehmungsfähigkeit, lassen sich schon jetzt durch Technologie teilweise verschieben. In Zukunft werden wir vor der Aufgabe stehen unsere eignen Grenzen durch immer beeindruckendere technologische Möglichkeiten wieder und wieder zu erweitern und neu zu setzen.
Wie lässt sich beurteilen wie sinnvoll und förderungswürdig solche „Enhancements“ sind, welche darauf abzielen die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen zu erweitern? Zunächst einmal sollte man abschätzen, wie die Gesamtfreiheit des jeweiligen Individuums durch ein bestimmtes Enhancement verändert wird. Handelt es sich nur um eine modische Spielerei, oder um eine wertvolle Bereicherung? Gerade bei Implantaten, welche es ermöglichen wichtige Vitaldaten aufzuzeichnen, oder geistige Fähigkeiten zu erweitern, wird schnell klar, dass solche Enhancements sowohl für das Individuum, als auch die Gesellschaft als Ganzes äußerst wertvoll und erstrebenswert sein können.
Als sinnvolle Richtgröße, ob die Kosten für ein Enhancement, oder auch nur für eine „konventionelle“ Prothese, von Krankenkrassen übernommen werden sollte, kann der „Freiheitszuwachs pro Euro“ (im Folgenden mit „FpE“ abgekürzt) herangezogen werden. Natürlich ist es äußerst schwer Abstrakta wie „Freiheit“ zahlenmäßig abzuschätzen, aber als vernünftige Richtgröße, die stets nach bestem Wissen und Gewissen angewandt werden sollte, dürfte der individuelle FpE hinreichend nützlich, praktikabel, und gerecht sein. Liegt der FpE für ein Enhancement, über einer gewissen Schwelle, sollten die Kosten dafür von den Krankenkassen grundsätzlich übernommen werden.
Sicherheit
Wie praktisch alle Technologien bergen Prothesen und Implantate gewisse Risiken. Bei elektronischen Prothesen und Implantaten besteht grundsätzlich das Problem, dass diese von Schadsoftware befallen werden können. Der stringenten Umsetzung höchster Sicherheitsstandards für Prothesen und Implantate fällt eine große Bedeutung zu, da Nachlässigkeiten in diesem Bereich durchaus letale Folgen haben können.
Sicherheitstechnisch hat Open-Source-Software durchaus erhebliche Vorteile. Allerdings ist die Finanzierung professioneller Open-Source-Software meist eine sehr diffizile Angelegenheit. Eine Verpflichtung für Prothesen und Implantate nur Open-Source-Software verwenden zu dürfen, könnte die Situation durchaus verbessern. Was Patienten jedenfalls nicht wollen, sind geheime Backdoors, die von Unternehmen oder Regierungen in ihre Prothesen und Implantate eingeschleust werden, und deren Manipulation, oder auch nur das Sammeln persönlicher medizinischer Daten erlauben.
Auch die gezielte Forderung und Förderung von Sicherheitsstandards, auch abgesehen von der Frage, ob die eingesetzte Software Open Source oder proprietär sein soll, ist sicher im Interesse von Patienten.
Soziales
Droht die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderzugehen, sobald sich Reiche mit Technologie noch weiter aufrüsten? Grundsätzlich entsteht durch die Möglichkeit von Enhancements eine neue Dimension, in welcher sich Reiche von Armen abheben können. Allerdings können durch Prinzipien wie der finanziellen Förderung von Freiheit die praktischen Unterschiede zwischen Arm und Reich zumindest abgemildert werden. Zusätzlich kann dieser Entwicklung durch die rapide Verbreitung von Technologien und deren Zugänglichkeit für jeden entgegengewirkt werden.
Wenn Enhancements für alle ökonomisch erschwinglich sind, entsteht durch eine zunehmende „Cyborgisierung“ der Gesellschaft potenziell ein Zugzwang, mit gewissen allgemein erwarteten Enhancements mitzuziehen.
Morphologische Freiheit muss aber auch bedeuten, dass man sich bewusst gegen medizinische Eingriffe und Enhancement entscheiden kann, selbst wenn dies negative gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen kann. Letztendlich sollten wir den Wert von Freiheit und Vielfalt betonen, um gezielt all die Chancen nutzen, die sich uns bieten.
Bemerkung:
Dieser Artikel ist der 3. Teil eines Gesamtartikels, welcher zuerst in der Ausgabe 2/2016 der Fachzeitschrift „FIfF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft“ veröffentlicht wurde.
Dieser Artikel ist eine persönliche Meinung des Autors und soll als Diskussionsgrundlage, oder um Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken, genutzt werden. Die hier dargelegten Standpunkte stellen nicht zwangsläufig die der TPD dar.
Die drei Teile des Artikels sind auch auf unserer Webseite zu finden: